Widerstand* und Störungen

Widerstand* und Störungen
Der neue Uferweg am Griebnitzsee

 

Hedy-Lamarr-Platz, Neubabelsberg, Foto: vv
Hedy-Lamarr-Platz, Neubabelsberg, Foto: vv

 

TOPOGRAPHIEN UND WIDERSTAND*

Die GFZK e.V. erforscht gerade die Widerstands-Topografie der Neubabelsberger Villenkolonie am Griebnitzsee. Vor 1933 gehörten viele der Villen jüdischen Eigentümer*innen. Die Spuren der von hier vertriebenen oder deportierten Familien sind nahezu ausgelöscht, wenige Stolpersteine nennen ihre Namen. Andere Gedenksteine deuten auf Hiroshima und Nagasaki. Geblieben ist ein meandernder Geschichtspfad, der nur an wenigen Stellen auf Gedenktafeln auf Geschichte verweist. Auch die Spuren der DDR-Zeit sind verwischt, abgefräst oder im Rahmen von späteren Sanierungen demontiert.

Wir erinnern uns: Am Ende des Kriegs, im Sommer 1945 wurden die Gebäude am Griebnitzsee für die vier Verhandlungsdelegationen der Potsdamer Konferenz „freigemacht“. Harry S. Truman, Winton Churchill/ Clement Attlee und Joseph Stalin nahmen in den Villen am Griebnitzsee Quartier. Nach den Besatzerjahren blieben die Gebäude des ehemaligen Mauersperrgebiets weiterhin privaten Nutzungen entzogen. Vielmehr waren hier staatsnahe Institutionen, Offiziere der Grenztruppen und Angehörige der Rechtsakademie oder auch Kindertagesstätten beheimatet; die Villenkolonie am Griebnitzsee war Sperrgebiet, das ohne Passierschein nicht betreten werden durfte.

Später wurden die Gebäude, darunter auch die Digitalvilla (Karl-Marx-Str. 67, Hedy-Lamarr-Platz) von der Hochschule für Film und Fernsehen genutzt. Nach 1989 wurden neue denkmalpflegerische Weichenstellungen definiert; auf die Erhaltung von Spuren der beiden Vergangenheiten wurde – bis auf wenige Ausnahmen z.B. im Stubenrauch-Abschnitt - weitgehend verzichtet.

Blicken wir zurück auf die ersten Jahre der Wiedervereinigung: Zu „Mauerzeiten“ führte am Ufer des Griebnitzsee der Postenweg der DDR-Grenzgrenzsoldaten. Nach dem Mauerfall 1989 wurde daraus bis 2004 ein Spazierweg für alle, Symbol der Freiheit, gemeinsamer Gestaltung und des Austauschs.

Seit 2004 entwickelt sich der Uferweg am Griebnitzsee durch Privatnutzungen der Seezugänge in eine parzellierte Uferparklandschaft; es entstanden Atmosphären des Widerstands bei Bevölkerung und Anwohner*innen, die eine öffentliche Zugänglich des Uferwegs einklagen. Seit 20 Jahren kämpft die Bürgerinitiative Griebnitzsee für Alle e.V. für die durchgängige Öffnung des Uferwegs und die Anerkennung als Mauergedenkstätte. Juristische Verfahren, den Uferweg gegen den Willen der Anrainer als Spazierweg durchgängig zu öffnen, halten an. Die Uferwegbeauftragte Elisabeth Hartleb hat eine neue Kultur der Uferweg-Diplomatie etabliert.

Die GFZK e.V. erprobt derzeit neue Narrative. Leitend sind für uns die Begriffe "Widerstand* und Störungen". Unsere Recherchen setzten in den Jahren 1933-1945 an. Z.B. im Gedenken an Regimegegnerin und Widerstandskämpferin Marie-Louise Sarre, die in der Villa Sarre (Spitzweggasse 6) lebte. Sie kümmerte sich um die Menschen im "Jüdischen Altenheim" in der benachbarten, ehemaligen Bergstraße 1, brachte ihnen Essen und besorgte Ausreise-Pässe für jüdische Familien; auch gehörte sie dem Solf-Kreis an. Wegen ihres widerständigen Engagements wurde Marie-Louise Sarre im KZ Ravensbrück (1943-45) inhaftiert. Im April 1945 wurde sie in ein SS-Lazarett verlegt, von hier aus gelang ihr die Rückkehr in ihr Elternhaus, die Villa Sarre in Neubabelsberg. Wenig später musste sie zusammen mit ihrer Familie das Haus für die russische Delegation der Potsdamer Konferenz (u.a. General Schukow, 1896-1974) räumen; wenig später verließ sie Deutschland. Ihre Spuren verlieren sich nach Kriegsende.

Auch das Leben und Wirken des Widerstandskämpfers Henning von Tresckows, einem Freund von Marie Louise Sarre, verbindet sich mit dem Griebnitzsee. Zeitweise lebte er bei seiner Schwester in der Villa von Arnim  (Karl-Marx-Straße 25) und fand hier Zuflucht. Treschow war neben Claus Schenk Graf von Stauffenberg die zentrale Figur des militärischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus.

In der Villa Tannwald (Rudolf-Breitscheid-Str. 232) ist der Schriftsteller, Maler und Filmemacher Peter Weiss (1916-1982) geboren, der Verfasser der "Ästhetik des Widerstands" (1975-1981).

Um zu erforschen, was Widerstand in Potsdam in der DDR-Zeit bedeutete, beschäftigen wir uns gerade mit der „unterdrückten Literaturgeschichte“ in Potsdam und den Aktivist*innen der „Verschwiegenen Bibliothek“. Gegenwärtig bewegen wir uns auf den Spuren der Archivrecherchen von Ines Geipel und Joachim Walter.

Die Künstlerin/ Glitch-Aktivistin & Forscherin Laura Ranglack erforscht parallel dazu derzeit die Biografie der Schauspielerin und Erfinderin "Hedy Lamarr" (Hedwig Kiesler, 1914-2000), dessen Name mit dem sog. Frequenzsprungverfahren verbunden ist. In Wien geboren, gehörte die Familie von "Hedy Lamarr" dem jüdischen Kulturkreis an. Prof. Dr. Norbert Gronau hat Hedy Lamarr 2019 als Namensgeberin für den dreieckigen Platz zwischen Virchowstraße und Karl-Marx-Straße vorgeschlagen; seither liegt die Digitalvilla, der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, Prozesse und Systeme, am Hedy-Lamarr-Platz in Neubabelsberg.  

Die GFZK e.V. unterstützt Laura Ranglack bei der Entwicklung des Widerstands*-Projekts. Gefördert wird es von der Landeshauptstadt Potsdam und der Digitalvilla. Schlüsselbegriffe des Projekts sind Widerstand, Feminismus, Systemstörung und Camouflage. Ziel ist es, durch experimentelle Methoden digitaler Dekonstruktion, z.B. durch digitale Glitch-Techniken neue Formen ästhetischen Widerstands auszuloten.

Das Projekt wird gefördert von der Landeshauptstadt Potsdam im Rahmen der Projektförderung 2024 und von der Digitalvilla (Institut für Wirtschaftsinformatik, Prozesse & Systeme).

DIGITALVILLA POTSDAM
Hedy-Lamarr-Platz, 14482 Potsdam
Karl-Marx-Str. 67
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Öffentliche Verkehrsmittel
Potsdam, Bahnhof Griebnitzsee